Braucht Tangstedt „Schuhkartons mit Folienzaun“?

27.02.22 –

Braucht Tangstedt „Schuhkartons mit Folienzaun“?

Liebe Tangstedterinnen und Tangstedter,

warum haben sich 2018 Bürgerinnen und Bürger zusammengeschlossen und die Grünen in Tangstedt gegründet? Ein wichtiger Grund ist das Bedürfnis, unsere Gemeinde weiter zu entwickeln und für die Zukunft fit zu machen. Der Ortsplanung wird dabei in Kommunen eine zentrale Bedeutung beigemessen – und die gilt es mit Sinn und Verstand zu planen, aber auch nach politischen Beschlüssen in die Wirklichkeit umzusetzen.

Eine Diskussion, die oft geführt wird, ist, „die richtige Art der Bebauung“. Wieviel Vorgaben sollte die Gemeinde den Bürgerinnen und Bürgern auferlegen? Lassen Sie mich den Blickwinkel erweitern und in das Fachblatt Deutsches Architekturblatt (DAB) lenken, dass ich berufsbedingt beziehe, und daraus einen Artikel wortgleich wiedergeben:

>>Schuhkarton mit Folienzaun<<
Leserbrief „Einfamilienhaus ist nicht das Problem“ / DAB 01.2022, Seite 7
„Dem Verfasser, der zur Verteidigung der Einfamilienhausbauer auf die Krupp-Siedlungen verweist, möchte ich mit einem Foto und einer Literaturempfehlung antworten: Die Masse der Neubauprojekte entsteht nicht in der strukturellen Qualität einer Krupp-Siedlung – eine Utopie, schön wäre es.

 

Das Foto zeigt ein durchschnittliches deutsches Neubaugebiet im Großraum Hannover. Die Häuser sehen aus, als hätte man Löcher in einen Schuhkarton geschnitten, um das Zwergkaninchen zum Tierarzt zu fahren. Ökologisch sinnfreie Thuja- und Kirschlorbeerhecken waren mal Mode. Damals ahnte man noch nicht, dass es bald schlimmer kommen würde. Neben den anthrazitfarbenen Kunststofffenstern und den zugeparkten Asphalt- und Betonsteinflächen stehen jetzt Stabgittermatten mit blickdichter anthrazitfarbener Folie. Über diesen Traum vom Leben auf dem Land inmitten von ungestörter Natur schreibt der Architekturkritiker Niklas Maak sehr unterhaltsam in „Wohnkomplex“ aus dem Carl Hanser Verlag. Erheiternd und gleichzeitig schonungslos wird die Illusion vom idyllischen Eigenheim auf der grünen Wiese zerlegt. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Bau- und Immobiliensektor erfährt man viel über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe, Strategien der Bauwirtschaft und alternative Entwicklungen. Ein ideales Buch für Bauherren auf dem Weg zur Veränderung.“ (Dirk Diekmann-Tirre, Architekt, Hannover)

Was kann die Tangstedter Politik machen, um >>Schuhkartons mit Folienzaun<< bei Neubauvorhaben zu verhindern? Drei Punkte, von weiteren, sind:

  1. Qualitätsstandards durch Strukturkonzepte und städtebauliche Rahmenpläne definieren, bevor Bebauungspläne erstellt oder ohne B-Planverfahren Baugenehmigungen erteilt werden.

  2. Bürger*innen aktiv an der Erarbeitung von Qualitätsstandards bei der Rahmenplanungen beteiligen (z.B. durch Ideenwerkstätten).

  3. Städtebauliche Wettbewerbe und Konzeptvergaben durchführen, die nicht nach dem Höchstpreisgebot ohne weiteres „den Bebauungswunsch der Investoren“ zulassen, sondern die Qualität und das Gemeinwohl, den Mehrwert für die Gemeinde, in der Vordergrund stellen.

In Bestandsbaugebieten sind die bereits anderorts praktizierten und bewährten Methoden nicht wesentlich anders. Hier spielen allerdings Bestandsschutz und Erhaltungsvorgaben zusätzlich eine Rolle. Über Gestaltungs- und Erhaltungssatzungen kann die Gemeinde in eigener Zuständigkeit sowohl im Neubau, als auch im Bestand, niedrigschwellig und unbürokratisch Mindestqualitätsstandards für Klimaschutz, ökologische Baustoffe, qualitative Freiflächen, Energieversorgung, Wassermanagement, aber auch Sozialwohnungen, Mehrgenerationen- Wohnen, altersgerechtes Wohnen u.v.m. setzen.

Das verteuert aber doch das Bauen? Ein klares Jein! Die Frage ist, für wen wird es teurer? Und wie wird das berechnet? Nur die einmaligen Herstellungskosten beim Bauen? Oder die Gesamtkosten während eines Lebenszyklus des Gebäudes oder des ganzen Quartiers? Wer heute billig bauen will, lässt zu, dass zukünftige Generationen mehrfach teurer bauen müssen! Diese negative Entwicklung erleben wir doch alle zunehmend selbst. Um bei Projekten das ausgewogene Maß zwischen Kosten und Nutzen (=Qualität) zu finden, gilt es die bereits genannten Methoden zu nutzen. In diesem Sinne haben wir Grünen seit 2018 intensiv darum geworben, dass

  1. ein Städtebaulicher Rahmenplan (=Strukturkonzept) erstellt wird, der die bisherigen Planungsinstrumente sinnvoll ergänzt (Anlage 1)

  2. ein Planungswettbewerb für die Gestaltung der Ortsmitte Tangstedt (Hauptstraße) durchgeführt wird, der als Investorenwettbewerb die Entwurfsqualität in der Vordergrund stellt (Anlage 2)

  3. bei beiden Verfahren Bürgerbeteiligungen erfolgen.

Daraus sind fraktionsübergreifend Gemeindebeschlüsse gefasst worden, die allerdings inzwischen seit bald zwei Jahren „auf dem Eis zu liegen scheinen“. Damals hat eine breite Mehrheit aus allen Fraktionen den Umsetzungen der Anträge zugestimmt.

Entgegen zum Teil öffentlicher Äußerungen liegt es offenbar doch nicht an der Verwaltung, die im Gegenteil zuletzt zu Arbeitsgruppen (=Lenkungsgruppen) mit Politik, externen Stadtplanungsbüro und Verwaltung eingeladen hatte, aber in diesem Vorgehen gestoppt worden ist. Es liegt auch nicht an vier von fünf Fraktionen, die die Nutzung dieser Arbeitsgruppen begrüßt haben. Es liegt auch nicht an einer fehlenden rechtlichen Grundlage zur Nutzung dieser Arbeitsgruppen, weil die Gemeindevertretung seit dem 20. Februar 2019 die AG Planung für wichtige ortsplanerische Projekte eingerichtet hat.

Woran, oder genauer gesagt, an wem liegt das Zögern in der Beschlussumsetzung? Der Vorsitzende ruft die AG Planung nicht mehr ein. Die inhaltliche Bearbeitung bereits beschlossener Aufgaben und Ziele soll weiterhin ausschließlich im „15-Minuten-Takt“ von Ausschusssitzungen erfolgen. Das ist unpraktikabel, ineffizient und, es ist zu befürchten, bleibt auch ergebnislos.

Über das bereits erwähnte Deutsche Architektenblatt (DAB) habe ich von mindestens vier Wettbewerbsprojekten aus Schleswig-Holstein erfahren, die seit 2020 von dem bereits von Tangstedt beauftragten Planungsbüro (trotz Corona) erfolgreich begleitet wurden. Zuletzt ein Wettbewerb in Eckernförde (Bewegungspark mit Skateanlage am Schulweg) oder die Ankündigung für einen Wettbewerb der Stadt Lauenburg/ Elbe (Lauenburger Lesegärten) https://archi-stadt.de/verfahrensmanagement/205.

Und in Tangstedt? Die für die Beschlussumsetzung verantwortlichen Politiker harren der Dinge, die nicht kommen. Lasst uns endlich an die Arbeit gehen! Wir, vier Fraktionen sowie die Bürgerinnen und Bürger, sind seit langem dafür bereit!

Stefan Mauel
Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/ Die Grünen

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